CDU Kreisverband Ostalb

Europa muss geschlossen auftreten

Rainer Wieland | Vizepräsident des Europäischen Parlaments

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist erschütternd, macht fassungslos und entsetzt uns. Jeden Tag aufs Neue sehen wir die furchtbaren Bilder und die Besorgnis über die fortgesetzte, menschenverachtende russische Offensive.
Wir Europäer stehen geschlossen an der Seite der Ukraine. Europa muss geschlossen auftreten, um den größtmöglichen Druck auf den Machthaber in Russland auszuüben! Neben den wichtigen und richtigen Sanktionen war es auch wichtig, ein politisches Signal zu senden: die Ukraine ist ein Teil von Europa und soll daher die Chance haben, den Kandidatenstatus zu erreichen.

Die Ukraine kämpft für Freiheit, Demokratie, für Menschenrechte und für Europa. Ein Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf das Recht eines jeden Landes, unabhängig und eigenständig über seine Geschichte zu entscheiden. Ein Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff mit dem Recht des Stärkeren auf die Stärke des Rechts, auf die freiheitliche Art zu leben.  Und in diesem Sinne sind wir alle Ukrainer und ein Angriffskrieg gegen dieses Land ist ein Angriff gegen alle Europäer. Mit dem Kandidatenstatus signalisieren wir vor allem der Ukraine: ihr gehört zu uns, euer Kampf ist unser Kampf. Und wenn der Frieden zurückkehrt, könnt ihr Teil unserer Gemeinschaft werden.

Das Europäische Parlament hatte bereits in einer Sondersitzung am 1. März 2022 mit überwältigender Mehrheit eine Entschließung verabschiedet, in der es alle Organe der EU auffordert, auf den Status der Ukraine als EU-Bewerberland hinzuwirken. Es ist deshalb richtig, dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nun auf eine Beschleunigung des Verfahrens drängt, sodass dem notwendigen Prozess zügig Fortgang gegeben werden kann.

Europa und die Ukraine wachsen seit Jahren immer mehr zusammen. Ich teile die Meinung des EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber: „Wenn jemand im Moment für Europäische Werte kämpft, dann sind es die Ukrainerinnen und Ukrainer“.

Seit Erlangung ihrer Unabhängigkeit ist die Ukraine bestrebt, ihren eigenen Weg zu gehen und engere Verbindungen zu Europa zu knüpfen. Ein Meilenstein für die Beziehung zwischen der Ukraine und Europa ist zum Beispiel das Assoziierungsabkommen, d. h. politische Assoziierung (Achtung der demokratischen Grundsätze, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit) und wirtschaftliche Integration (freier Marktzugang) – 40 % des internationalen Handels der Ukraine entfallen auf die EU. Auch im Bereich Visum beschloss das Europäische Parlament bereits 2017, dass ukrainische Bürger, die im Besitz eines biometrischen Reisepasses sind, innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen für 90 Tage ohne Visum in die EU zu touristischen Zwecken, zum Besuch von Verwandten oder Freunden oder zu geschäftlichen Zwecken einreisen dürfen, ohne dass damit Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeführt wurde. Aber nicht nur im wirtschaftlichen Bereich kooperiert die EU mit der Ukraine, sondern zum Beispiel auch durch das Erasmus+ - Programm. Seit 2015 haben mehr als 12.000 ukrainische Studierende an diesem Programm teilgenommen.

Trotz allem erfordert ein Beitritt – auch der Ukraine – die Erfüllung von Voraussetzungen. Wir wollen Europa in Vielfalt einigen und gemeinsam voranbringen. Wenn wir es nicht verwässern wollen, dürfen wir bei den Grundprinzipien keine Abstriche machen. Das wäre angesichts der Fliehkräfte, die trotz der gerade in Krisen offensichtlichen Vorteile, die die EU bietet, an unserer Gemeinschaft zerren, das falsche Zeichen. Aber wir können auch unser Beitrittsverfahren beschleunigen, unsere Instrumente verbessern und wir müssen uns fragen, ob hinsichtlich des erfolgreichen Abschlusses einzelner Verhandlungskapitel im Beitrittsprozess die Einstimmigkeit noch das richtige Mittel der Wahl ist.

Jedenfalls gilt: Wir als Europäische Union müssen alles daransetzen, der Ukraine zu helfen und sie nicht verloren geben. Die Ukraine gehört zu Europa – und wenn sie das will, muss sie auch zur Europäischen Union gehören dürfen.

Ihr Rainer Wieland